Es ging voran im Bildungssystem der 2010er-Jahre: Die Lehre an Hochschulen wurde endlich aufgewertet. Aber die Ausbildung der Lehrer machte dem Stifterverband weiterhin Sorgen – und er mahnte unermüdlich digital skills an. Denn die Zukunft wummerte schon kräftig an die Tür.
Digitalisierung und Automatisierung veränderten seit einigen Jahren die Arbeitswelt grundlegend und mit weitreichenden Folgen auch für kreative und intellektuelle Aufgaben. Zu dieser Arbeit 4.0 gehörten künstliche Intelligenz, Mensch-Maschine-Interaktion sowie die Nutzung großer Datenmengen (Big Data). Durch die Omnipräsenz von Kommunikationsmedien im Arbeitsalltag entstanden zudem neue Aufgabenfelder wie etwa Community-Management. All dies forderte in den 2010er-Jahren ein Umdenken an den Hochschulen – denn es gehört zu ihren Aufgaben, Studierende auf die Arbeitswelt in der Wirtschaft vorzubereiten.
Der Stifterverband erkannte diese Notwendigkeit schon früh: Gemeinsam mit dem Centrum für Hochschulentwicklung und der Hochschulrektorenkonferenz rief er 2014 das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) als Plattform der Weiterentwicklung, des Austauschs und der gegenseitigen Beratung ins Leben.
Bereits in den 2000er-Jahren war die Berufsfähigkeit der Bachelorabsolventen ein grundlegendes Thema gewesen und machte es notwendig, im Bachelorstudium auch Fähigkeiten wie Selbstorganisation und Teamarbeit zu vermitteln. Im neuen Jahrzehnt rückte die Digitalisierung in den Fokus, die bereichsübergreifendes, interdisziplinäres Denken, das kritische Hinterfragen von Informationen und vernetztes, standortunabhängiges Arbeiten erforderte. Und: Stärker als je zuvor brauchte die Arbeitswelt mit ihren rasanten technischen Entwicklungen lebenslang lernende und flexible Mitarbeiter, die immer wieder neue Aufgaben übernehmen konnten. Auch darauf mussten Hochschulen ihre Studierenden vorbereiten.
Kurzum: Die Digitalisierung sollte sich an den Hochschulen in den Verwaltungsstrukturen, in den Curricula, den Lehrkonzepten und in Prüfungsmethoden widerspiegeln. Das Hochschulforum Digitalisierung brachte im Zusammenspiel mit Digitalisierungsexperten und Hochschulen entscheidende Veränderungen und Weiterentwicklungen auf den Weg und förderte mit großem Erfolg unter anderem innovative Neuausrichtungen von Curricula. Als eine weitere wichtige Initiative für mehr Digitalisierung in der Bildung ging am Ende des Jahrzehnts das nationale Aktionsprogramm "Future Skills" an den Start. Die Initiative vernetzt und fördert Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen, die sich mit innovativen Projekten besonders für das Thema Digitalisierung engagieren.
Doch nicht nur thematisch legte der Stifterverband neue Schwerpunkte, auch die Verbandsarbeit selbst wandelte sich in den 2010er-Jahren deutlich. Standen seit den 1990er-Jahren strukturelle Hochschulförderprogramme im Fokus, baute der Stifterverband nach der Jahrtausendwende seine Kompetenzen im Bereich Beratung, Agenda Setting und Analyse deutlich aus. "Fördern – beraten – vernetzen" wurde zum neuen Grundpfeiler der Arbeit des Stifterverbandes. Mit Förderprogrammen wurden auch weiterhin wichtige Veränderungen im Hochschulbildungssystem angestoßen, doch der Stifterverband brachte nun auch vermehrt seine Expertise aus 100 Jahren Wissenschaftsförderung in den politischen Diskurs ein. Mit der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI), deren Geschäftsstelle 2011 zum Stifterverband kam, und als Mitinitiator der Forschungsunion und deren Nachfolgeorganisation Hightech-Forum positionierte sich der Stifterverband verstärkt als Beratergremium für die Politik. Welche Technologiefelder werden in Zukunft wichtig werden? Wie lassen sich in Bildung, Wissenschaft und Forschung die nötigen Strukturen dafür schaffen, dass Deutschland nicht den Anschluss an die Weltspitze verliert? Ein Anliegen, das der Stifterverband seit seiner Gründung 1920 verfolgt.
Basis dieser Arbeit war von jeher der Aufbau von Netzwerken. Was mit dem Gesprächskreis Wissenschaft und Wirtschaft in den 1950er-Jahren begonnen hatte, baute der Stifterverband bis in die 2010er-Jahren konsequent weiter aus. Mit Netzwerktreffen, Onlinecommunitys, Debattenformaten und groß angelegten Konferenzen wie dem Zukunftskongress oder dem Forschungsgipfel schuf der Stifterverband lebendige Orte für Austausch und Weiterentwicklung zwischen Fachleuten und Nichtfachleuten, zwischen Hochschulen, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Gedanke dahinter: Die drängendsten Fragen aus Bildung, Wissenschaft und Innovation sollten nicht in inner circles verhandelt werden, sondern mit möglichst vielen Akteuren als kollaboratives Arbeiten – um verschiedene Sichtweisen in die Diskussion zu bringen und entsprechende Handlungsempfehlungen zu entwickeln.
Es zeigte sich schnell, dass sich durch die neuen Aufgabengebiete als Berater und Netzwerker auch die thematische Ausrichtung des Stifterverbandes veränderte. Die Oberthemen Wissenschaft und Hochschule wurden auf die gesamte Bildungskette ausgeweitet und die drei zentralen Aktionsfelder Bildung, Wissenschaft und Innovation geschaffen. Alle Aktivitäten des Stifterverbandes waren in Zukunft diesen drei Bereichen zugeordnet. Sie gehörten untrennbar zusammen. Mit dem Verein Bildung & Begabung in Bonn und der vom Stifterverband 2013 gegründeten Stiftung Bildung und Gesellschaft stand von nun an auch die Talent- und Begabungsförderung deutlich stärker im Fokus. Eine konsequente Ergänzung der Stifterverbandsarbeit, wie Generalsekretär Andreas Schlüter betonte: "Nur gemeinschaftlich mit unseren Töchtern und Partnern kann es uns gelingen, das deutsche Bildungs- und Wissenschaftssystem zu stärken und zukunftsfähig zu machen."
Ohne Bildung kann es keine Wissenschaft geben und ohne Wissenschaft keine Innovation.
Diese Neuausrichtung spiegelte sich ab 2015 dann auch in einem neuen Erscheinungsbild wider. Das neue Logo mit einem markanten S im farbigen Kreis ersetzte das noch unter Präsident Arend Oetker Ende der 1990er-Jahre entwickelte Vorgängerdesign. Drei prägnante Farben stützen den Dreiklang Bildung, Wissenschaft, Innovation und finden sich nun in den Logos von Tochtergesellschaften wie dem DeutschenStiftungszentrum oder ZiviZ – Zivilgesellschaft in Zahlen wieder.
Als großen Erfolg – nicht zuletzt auch aufgrund seiner eigenen, immer zeitlich befristeten Initiativen für gute Lehre, die wichtige Impulse setzten – wertete der Stifterverband, dass es nach dem Auslaufen des Qualitätspaktes Lehre von Bund und Ländern eine dauerhafte Einrichtung zur finanziellen Förderung guter Lehre geben wird. Bund und Länder beteiligen sich daran gleichermaßen, sodass durch den Zukunftsvertrag bis 2023 jährlich rund 3,8 Milliarden Euro und ab 2024 jährlich insgesamt 4,1 Milliarden Euro zur Förderung von Studium und Lehre zur Verfügung stehen werden. Im Nachgang des Wettbewerbs exzellente Lehre, der 2012 endete, formulierten Wettbewerbsteilnehmer im regen Austausch und Diskussionsprozess eine Charta guter Lehre, die Erkenntnisse des Wettbewerbs und der teilnehmenden wie geförderten Projekte bündelte. Im neuen Jahrzehnt wurden neben dem Ars legendi-Preis weitere Preise und Förderungen für exzellente Lehre initiiert: so etwa der Genius Loci-Preis, Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre und Fellowships für Innovationen in der digitalen Hochschullehre. Während sich die Fellowships an einzelne Lehrende richteten, wurden mit dem Genius Loci-Preis komplette Institutionen – je eine Universität und eine Fachhochschule – für ihre wegweisende, hochschulweite Lehrstrategie ausgezeichnet. Mit dieser mit 20.000 Euro dotierten Auszeichnung lag der Stifterverband auf einer Linie mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2015, wonach eine Hochschulleitung das Thema gute Lehre zur Chefsache erklären und an der gesamten Hochschule Anreize für Innovationen in der Lehre schaffen sollte.
Darüber hinaus war der Stifterverband in den 2010er-Jahren im Bereich Bildung und Lehre immer wieder an und auf neuen Brennpunkten und Betätigungsfeldern aktiv. 2013 startete er die Bildungsinitiative "Zukunft machen", die sechs Handlungsfelder in den Blick nahm, die in Deutschland optimierungsbedürftig waren: chancengerechte Bildung, berufliche und akademische Bildung, quartäre Bildung, internationale Bildung, Lehrerbildung und MINT-Bildung. 2020 findet die Initiative ihren vorläufigen Abschluss, und der Stifterverband wird resümieren, in welchen Handlungsfeldern sich das Bildungssystem gut entwickelt hat. Oder – was für einige Handlungsfelder wie die Lehrerbildung schon frühzeitig absehbar war – wo weiterer dringender Handlungsbedarf besteht.
Denn die Ausbildung künftiger Lehrkräfte für Schulen entwickelte sich nur langsam weiter: Noch immer fehlte es im Studium an Praxisbezug und an der optimalen Verzahnung von Fachwissen und Schulpraxis, noch immer wurden künftige Lehrer aller Schulformen zu wenig darin geschult, mit Diversität im Klassenzimmer umzugehen – speziell mit Schülern, die Deutsch als Zweitsprache erst erlernen müssen. Der Stifterverband startete deshalb die Lehrer-Initiative und förderte drei Universitäten mit je 500.000 Euro, um deren schlüssige strategische Konzepte, die an den genannten Problemstellen ansetzen, umzusetzen und nachhaltig in der Hochschule zu verankern.
Doch nicht nur im Bereich der Lehrerbildung mussten deutsche Hochschulen "nachsitzen". Wie der 2018 vom Stifterverband veröffentlichte Ländercheck Informatik zeigte, brauchte es im Bereich Informatik für die Ausbildung des von der Wirtschaft dringend gesuchten Nachwuchses mehr gut ausgebildetes Personal für die Hochschulen – aber auch bereits für die Schulen. Andernfalls drohte Deutschland in Sachen Informatik und Informatikerausbildung den Anschluss zu verlieren: Zu lange hatten die Hochschulen sich auf die im Ausland als exzellent geltenden Ingenieurwissenschaften made in Germany verlassen. Bei den Zukunftstechnologien hingegen hatten andere Länder die Nase vorn. Dieser Aspekt hat den Stifterverband durch die Jahrzehnte immer wieder umgetrieben – und wird ihn auch im kommenden Jahrzehnt weiter beschäftigen.