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2000er
Exzellente Lehre und öffentliche Wissenschaft

Die Bologna-Reform und die damit verbundene Erneuerung des Lehrsystems sowie die Stärkung der Wissenschaftskommunikation
waren – wissenschaftspolitisch gesehen – die prägenden Themen dieses Jahrzehnts. Beide Prozesse hat der Stifterverband aktiv mitgestaltet.

Foto: David Ausserhofer
Hat die klassische Vorlesung ausgedient? In den 2000er-Jahren setzte sich der Stifterverband für eine Aufwertung der Lehre und neue Formen des Lehrens ein.

 
Das neue Jahrtausend begann mit einer regelrechten Zäsur im deutschen Hochschulsystem: Die Bologna-Reform krempelte die seit Jahrzehnten etablierten Strukturen an den Hochschulen um, die alten Magister- und Diplomstudiengänge machten sukzessive den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen Platz. Schnell wurde klar, dass diese mit ihren neuen Studienstrukturen und Prüfungsformen auch grundlegend neue Lehrkonzepte erfordern. Damit rückte die Lehre, bis dato das ungeliebte Beiwerk zur Forschung, mehr in den Mittelpunkt.

Die Erwartungen an Universitäten und Fachhochschulen waren groß. Sie sollten die Bachelorstudierenden so ausbilden, dass diese mit ihrem Abschlusszeugnis Berufsfähigkeit erlangten. Dieser Anspruch setzte inhaltliche Neuausrichtungen in den Lehrplänen voraus. Hinzu kam: Die nach wie vor hohe Zahl der Studienabbrecher, speziell in den Ingenieurwissenschaften, konnten sich die Hochschulen angesichts des im Laufe der 2000er- und 2010er-Jahre immer gravierender werdenden Fachkräftemangels nicht mehr leisten – sie mussten "liefern".

Foto: David Ausserhofer
Die Förderarbeit stand im Mittelpunkt der Stifterverbandsarbeit im neuen Jahrtausend.

Impulse für Innovationen und Exzellenz in der Hochschullehre

In der Wirtschaft kamen die Absolventen mit dem neuen Bachelorabschluss unterschiedlich an. Skeptiker, vor allem Klein- und Mittelständler, befürchteten, den neuen und deutlich jüngeren Absolventen werde es durch das wesentlich straffere Studium an Praxiserfahrung und den sogenannten Soft Skills wie etwa Kommunikations- und Teamfähigkeit mangeln. Andere – große Unternehmen und Banken, die global operieren und für die internationale Bewerber mit Bachelorabschluss demzufolge Normalität sind – waren da offener: Sie unterstützten "Bachelor Welcome", eine Initiative des Stifterverbandes gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

In weiteren Initiativen gab der Stifterverband wichtige Impulse für mehr Innovationen und Exzellenz in der Lehre, die den Ansprüchen der neuen Abschlüsse Rechnung trugen. Damit setzte er Maßstäbe für die Politik: Noch bevor das Bundesforschungsministerium den Qualitätspakt Lehre (2011 bis 2020) initiierte und damit insgesamt zwei Milliarden Euro für die Förderung innovativer Lehrkonzepte bereitstellte, hatte der Stifterverband die Förderung der Lehre auf seine Agenda gesetzt – und so wichtige Weichen für das deutsche Hochschulsystem gestellt. Mit Initiativen wie dem Wettbewerb exzellente Lehre für Hochschulen, Einzel-Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre sowie dem mit 50.000 Euro dotierten Ars legendi-Preis für exzellente Lehre schuf der Stifterverband wichtige Anreize, vertraute Pfade der Lehre zu verlassen und dadurch die Ausbildung des akademischen Nachwuchses deutlich zu verbessern.

Die Stoßrichtung war klar: Gute Lehre musste Chefsache der Hochschulleitungen werden. Der Erfolg der Wettbewerbe, an denen sich Hochschulen in ganz Deutschland beteiligten, markierte den Beginn eines nachhaltigen Prozesses, der zur Bildung von Netzwerken und Qualitätszirkeln für den Austausch der Hochschulen und Lehrenden untereinander sowie zu gemeinsamen Erklärungen führte.

Foto: David Ausserhofer
Hoher Besuch auf der Jahresversammlung des Stifterverbandes 2004: Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach in Stuttgart.
Foto: Peter Himsel
Bundespräsident Horst Köhler (li.) im Gespräch mit Dieter Zetsche (Daimler), 2006 beim Empfang des Stifterverbandvorstandes in der Villa Hammerschmidt
Foto: David Ausserhofer
Feierlichkeiten zum 25- jährigen Bestehen des Wissenschaftszentrums Bonn: Bundespräsident Johannes Rau (li.) und Arend Oetker, Präsident des Stifterverbandes (re.)
Foto: David Ausserhofer
Zukunftskongress des Stifterverbandes 2009: Hauptrednerin war Bundeskanzlerin Angela Merkel – hier im Bild mit Stifterverband-Generalsekretär Andreas Schlüter (li.) und Schatzmeister Wolfgang Reitzle (Linde AG, re.).

Wissenschaft in der Öffentlichkeit sichtbarer machen

Geprägt wurde dieses Jahrzehnt auch durch eine neue Gewichtung von Wissenschaftskommunikation. Deutlicher als bislang öffnete sich die Wissenschaft den Bürgern sowie nicht-wissenschaftlichen Institutionen und baute Brücken außerhalb des Mikrokosmos Campus – etwa mit Thementagen, runden Tischen, Langen Nächten der Wissenschaft, Science Slams oder Bürgeruniversitäten. Der Hintergrund: Viele Menschen außerhalb der Wissenschaftscommunity nahmen Hochschulen und Forschungsinstitute wie eine Black Box wahr, die sie zwar mit ihren Steuern kofinanzierten, die ihnen mit ihrer Arbeit und deren Wirkung jedoch vielfach unverständlich blieb. Auch die Forschenden und die wissenschaftlichen Einrichtungen selbst trugen bis in die 2000er-Jahre hinein zu wenig dazu bei, diese Diskrepanz zu überwinden. In Zeiten von Budgetkürzungen – die sich speziell an den Hochschulen bemerkbar machten – standen Forschende zudem unter dem Druck, die Relevanz ihres Tuns für die Gesellschaft deutlicher als bislang nach außen zu tragen.

1999 griffen die großen Wissenschaftsorganisationen auf Initiative des Stifterverbandes diese Entwicklung auf und veröffentlichten gemeinsam die Erklärung "Public Understanding of Sciences and Humanities" (PUSH). Darin verpflichteten sie sich, den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu fördern. Das PUSH-Memorandum war ein Meilenstein für die Wissenschaftskommunikation – und für die Stifterverbandsarbeit, die bis heute von diesem Dialoggedanken geprägt ist.

Foto: David Ausserhofer
Wissenschaft entdecken: Das begehbare Blutgefäß der Universität Würzburg erhielt 2008 den Publikumspreis im Stifterverband-Wettbewerb "Wissenschaft interaktiv".
Foto: Ilja Hendel/Wissenschaft im Dialog
Schwimmende Ausstellung: Der Stifterverband unterstützt über die Initiative Wissenschaft im Dialog die MS Wissenschaft.

Ein weiteres Engagement des Stifterverbandes für das Thema Wissenschaft und Öffentlichkeit nahm seinen Anfang bereits einige Jahre zuvor: Er förderte ab Mitte der 1990er-Jahre finanziell den Aufbau des Informationsdienstes Wissenschaft (idw), eines Nachrichtenportals für Aktuelles aus Wissenschaft und Forschung. Seine Gründung ging auf eine konzertierte Aktion mehrerer Hochschulpressesprecher zurück, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gehören zu den Mitgliedern. Sie verbreiten in Form von Pressemitteilungen News und Termine unter den etwa 38.000 Abonnenten, darunter 8.000 Journalisten (Stand 2019). Und auch in den Hochschulen geriet das Thema Kommunikation zunehmend in Bewegung: Sie nahmen mehr Geld für eine spürbare Professionalisierung ihrer Pressearbeit in die Hand.

Der Stifterverband ist seit seiner Gründung die Stimme der Wirtschaft in der Wissenschaft. Er ist Förderer und Helfer, kritischer Begleiter und Impulsgeber des Wissenschaftssystems. Denn nur wenn es der Wissenschaft gut geht, wird auch die Wirtschaft davon profitieren
Foto: David Ausserhofer

Arend Oetker

Präsident des Stifterverbandes 1998 bis 2013

In jene Zeit – auch als Konsequenz des PUSH-Memorandums – fiel die Gründung von Wissenschaft im Dialog. Die Initiative wurde im Jahr 2000 gemeinsam von Stifterverband und Wissenschaftsorganisationen gegründet. Sie richtet Dialogveranstaltungen, Ausstellungen oder Wettbewerbe aus, entwickelt neue Formate der Wissenschaftskommunikation und ist Partner der themenzentrierten Wissenschaftsjahre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Der Name ist Programm: Der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, auch über kontroverse Themen der Forschung, soll nachdrücklich gefördert werden. Dieses Ziel verfolgte der Stifterverband auch mit einer Reihe weiterer Initiativen und Preise.

So verleiht er seit dem Jahr 2000 gemeinsam mit der DFG jährlich den Communicator-Preis. Der Wissenschaftspreis für Wissenschaftler aus Deutschland honoriert Forscher, die ihr Wissenschaftsgebiet in der Öffentlichkeit besonders lebendig und allgemeinverständlich vertreten. Er ist einer von fünf Wissenschaftspreisen, die der Stifterverband zusammen mit den großen Wissenschaftsorganisationen finanziert. Zu ihnen zählt der seit 2002 gemeinsam mit der Leibniz-Gemeinschaft vergebene Preis Gesellschaft braucht Wissenschaft, der die gesellschaftliche Relevanz von Forschung würdigt.

Foto: David Ausserhofer
Wissenschaft gut kommunizieren: 2009 erhielt die Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger den Communicator-Preis von Stifterverband und Deutscher Forschungsgemeinschaft.

Wissenschaft als wichtiger Standortfaktor

Wie relevant die Arbeit an Hochschulen und in Forschungsinstituten ist und wie wichtig zudem Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Partner bei der Weiterentwicklung einer Stadt oder Region sind – wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftspolitisch –, belegt das 2004 erschienene Werk Stadt und Wissen des Ethnologen Ulf Matthiesen. Inhaltlich an solche Überlegungen anknüpfend, lobte der Stifterverband gemeinsam mit Partnern den Wettbewerb Stadt der Wissenschaft aus (2004 bis 2013). Das Ziel war es, die Bedeutung von Wissenschaft in einer Stadt aufzuwerten, sie für die Bürger, für die Öffentlichkeit sichtbarer zu machen – und alle Akteure nachhaltig zu vernetzen. So wurden Wissenschaftler, Politiker und Bürgervertreter für den Wettbewerb an einen Tisch gebracht, um gemeinsam Ideen zu entwickeln.

Vor allem mittelgroße Städte wie Bielefeld, Jena, Lübeck, Braunschweig oder Bremen nutzten die Chance des mit je 250.000 Euro dotierten Wettbewerbs, um ihr Profil zu schärfen oder gar – wie etwa im Fall von Bremen und Bremerhaven – einen Imagewandel zu vollziehen.

Wurde Bremen/Bremerhaven jahrzehntelang hauptsächlich als das wirtschaftlich schwache "Armenhaus" Deutschlands wahrgenommen, dessen Hochschulen als "rote Kaderschmieden" mit einem Negativimage behaftet waren, konnte die Hansestadt nun zeigen, dass sie sich in den zurückliegenden Jahren mit vielen Ausgründungen aus den Hochschulen, mit Instituten von Weltrang und exzellenten Museen zu einem Technologie-Hotspot und einer wahren Wissenschaftsstadt gemausert hatte. Der Effekt hält bis in die Gegenwart an.

Dieses Beispiel zeigt als eines von vielen, was der Stifterverband mit seinem Wettbewerb für die deutsche Wissenschaftslandschaft geleistet hat. Denn selbst jene Städte, die in der letzten Bewerberrunde ausschieden, berichteten übereinstimmend, wie sehr sie allein vom Bewerbungsprozess profitiert hatten. Dieser setzte ungeahnte Energien frei und brachte erstmals Politiker, Wissenschaftler und Bürger in einen Dialog miteinander. Wie ernst es vielen bis heute damit ist, belegt der Strategiekreis WISTA – Wissenschaft in der Stadt von zwölf ehemaligen Teilnehmern, der sich im Nachgang des Wettbewerbs gründete und dem auch der Stifterverband angehört.